LEHRERMANGEL BELASTET KOLLEGIEN IMMER STÄRKER

VOLLZEIT GEHT GAR NICHT MEHR

Er ist mit vollster Überzeugung Mittelschullehrer geworden, erzählt Joachim Dutz: „Ich wollte nicht abgehoben im Gymnasium unterrichten, sondern Kindern helfen, ihr Leben besser zu bewältigen.“ Diese Motivation findet sich heute immer seltener bei jungen Menschen. Was den Lehrermangel im Grund- und Mittelschulbereich verschärft. Der Mangel selbst wird laut dem Leiter der BLLV-Abteilung Dienstrecht und Besoldung immer gravierender. Und der Staat schaut zu.

 

Zwei große Wünsche hat Joachim Dutz an das KuMi. Zum einen wäre es aus seiner Sicht dringend nötig, alle Lehrerinnen und Lehrer gleich zu besolden. Es könne nicht länger angehen, dass Grund- und Mittelschullehrer weniger verdienen als ihre Kollegen am Gymnasium, denn sie durchlaufen eine ähnliche Ausbildung und machen einen genauso guten, genauso anspruchsvollen und mindestens so wichtigen Job. Darüber hinaus plädiert der Würzburger dafür, Stufenlehrer auszubilden: Für die Stufen 1 bis 4, 5 bis 9 sowie für die Oberstufe. Nach wie vor verweigert sich das Ministerium beiden Vorschlägen. Was für Dutz immer weniger nachvollziehbar ist.

 

Joachim Dutz stieg 1990 in den Lehrerberuf ein. Seitdem, sagt er, hat sich eine Menge geändert. Seinen Traum, Kinder, die Schwierigkeiten haben, zu unterstützen und zu begleiten, konnte er im Laufe der Jahre immer weniger verwirklichen. Der zunehmende Lehrermangel sorgt überhaupt dafür, dass in immer stärkerem Maße das, was Spaß macht an der Schule, wegfällt. Zum Beispiel Theatergruppen. Oder Fahrradwerkstätten.

 

Derzeit werden Förderkurse und Differenzierungsstunden gestrichen, da Lehrkräfte für erkrankte Kollegen einspringen müssen. In einer Schule mit zehn Klassen, so Dutz, kann es dieser Tage durchaus vorkommen, dass drei Klassenlehrer auf einmal fehlen. Das Kollegium tut alles, um die Unterrichtsversorgung aufrechtzuerhalten. Dennoch fallen Stunden aus. Zum Teil kommen die Schüler eine Stunde später in die Schule. Oder sie gehen früher. Zu hinterfragen wäre für Joachim Dutz eine ihm bekannte Statistik, der zufolge im März zwar 15 Prozent aller Lehrkräfte in Grund- und Mittelschulbereich krankheitsbedingt fehlten, dennoch aber nur zwei Prozent des Unterrichts ausfiel.

 

„Immer mehr Fälle“

 

Der Dauerstress schlaucht. Und schlägt auf die Psyche. Nicht wenige Lehrkräfte konsultieren deshalb einen Arzt. Einige begeben sich in psychotherapeutische Behandlung. Oder beantragen eine Kur, weil sie sich massiv von Burnout bedroht fühlen. “Diese Fälle häufen sich bei uns“, sagt Dutz. Noch vor wenigen Jahren war es möglich gewesen, einfach weniger zu arbeiten. Inzwischen wird Teilzeit nur in Ausnahmefällen genehmigt. Mit der Frage, ob dies in ihrem Fall möglich wäre, wenden sich erschöpfte Lehrer an die von Dutz geleitete Abteilung: „Viele sagen, dass sie es ja noch hinbekommen würden, 18 Stunden zu arbeiten, doch 25 Stunden sind ihnen zu viel.“

 

Mit Ende 50 oder Anfang 60 wird es immer schwerer, den Dauerdruck auszuhalten. Zum Glück, so Joachim Dutz, wird erschöpften Kollegen häufig die beantragte Stundenreduzierung genehmigt. Das ist gut für die Kollegen. Und es ist letztlich gut für die Schule: „Sonst würde die Lehrkraft vielleicht ganz ausfallen.“ Problematisch sei, dass das, was der Lehrer nun weniger leisten muss, kaum kompensiert werden kann. Denn die Mobile Reserve ist keineswegs so gut ausgestattet, dass sie überall dort, wo es nötig wäre, Engpässe auffangen könnte. Die Kollegen müssen also mehr arbeiten. Was deren Gefahr erhöht, an den Rand eines Burnouts zu geraten.

 

Unbefristet versetzt

 

Mit wie vielen Politikern wurde hierüber schon gesprochen! Wie oft schon wurde darauf öffentlich aufmerksam gemacht! Doch nichts ändert sich. Vor allem wird weiter an Praktiken festgehalten, die sich längst als problematisch erwiesen haben. So werden junge Lehrer, die vom Untermain kommen und dort auch gern unterrichten würden, immer noch nach Oberbayern versetzt, schildert Dutz. Das ginge noch an, wenn es sich um einen begrenzten Zeitraum handeln würde. Etwa um zwei oder drei Jahre. Doch die Junglehrer wissen nicht, wann sie wieder zurückkommen können. Viele entscheiden sich deshalb, nach Hessen zu gehen.

 

Um die größte Not zu lindern, wurde in der Corona-Krise auf TeamTeacher gesetzt. Dabei handelt es sich nicht selten um Hilfslehrer, die keinerlei Unterrichtserfahrung mitbringen. Sie sollen zwar „nur“ vor der Klasse stehen. Die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, so sieht es die Theorie vor, wird von Kollegen im Home-Office übernommen. Allein das funktioniert nicht in jedem Fall. Doch selbst dort, wo es funktioniert, klappt es kaum, dass die TeamTeacher völlig eigenverantwortlich Unterricht halten. Sie haben viele Fragen. Sie brauchen viel Unterstützung. Die Kollegen helfen auch gern. Doch natürlich belastet das zusätzlich.

 

Etwas besser ist die Idee, Gymnasiallehrkräfte durch eine Zweitqualifikation fit für das Lehramt an Grund- und Mittelschulen zu machen. Mancher junge Mensch, der Gymnasiallehrer werden wollte, entdeckte dadurch, dass es ihm sehr viel mehr Spaß macht, Grundschulkinder zu unterrichten. Aber auch das Gegenteil passiert, so Joachim Dutz. Man wartet nur darauf, wieder in die Schulart zurückgehen zu können, die man im Blick hatte, als man sein Studium begann. Noch dazu, wo dort ein höherer Verdienst winkt. Das Recht zu Rückkehr ist auch zugesichert.

 

Pädagogen sind Enthusiasten

 

Noch immer, so Dutz, sind die meisten Lehrkräfte von ihrem Beruf beseelt: „Trotz aller Schwierigkeiten bleibt der pädagogische Enthusiasmus spürbar.“ Es wird auch alles daran gesetzt, gute Arbeit zu leisten. Wie gut diese Arbeit ist, sahen Eltern während der Corona-Krise. Hautnah erlebten sie durch Home-Office und Home-Schooling, was es bedeutet, Kinder zu unterrichten: „Das geht ja weit über das Lesen-, Schreiben- und Rechnenlernen hinaus.“

 

Joachim Dutz hofft, dass sich aufgrund dieser Erfahrung zumindest das gesellschaftliche Bild vom Grund- und Mittelschullehrer geändert hat. Bis zum Ausbruch der Corona-Krise sei das Lehrerimage immer noch weithin negativ gewesen. Vorherrschend war das Klischeebild vom Lehrer, der morgens gemütlich vier Stunden Unterricht hält, den Nachmittag zur freien Verfügung hat und zudem über eine Unmenge an Ferien verfügt.

 

Fakt ist, dass die Ansprüche an Lehrerinnen und Lehrer im Grund- und Mittelschulbereich von Jahr zu Jahr gestiegen sind. Das ist zum einen dem Trend zur Digitalisierung geschuldet. Hinzu kommt der Zuzug von Migrantenfamilien und den damit verbundenen Forderungen nach Integration. Sowie das Leitbild „Inklusion“. „Für vieles sind wir aber gar nicht ausgebildet“, sagt Joachim Dutz mit Blick auf das Thema „Inklusion“. Wer sein Lehramtsstudium abgeschlossen hat, weiß nur sehr begrenzt, wie man pädagogisch gut mit Kindern umgehen, die ein körperliches Handicap haben. Die unter einer Autismus-Spektrum-Störung leiden. Oder kognitiv beeinträchtigt sind.

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